In diesem Artikel möchte ich auf das Hilfsmittel der persönlichen Aufnahme beim Üben eingehen, wie wir uns damit musikalisch und technisch weiterentwickeln können und wie wir dadurch unsere Selbstwahrnehmung schärfen. Ein informativer Beitrag über ein mächtiges Übewerkzeug zur Verfeinerung des musikalischen Vortrags.

 


Aufnahme zu Übungszwecken

Dieser Artikel ist eine Zusammenstellung von Erfahrungen im Instrumentalunterricht und Selbststudium am eigenen Instrument und bezieht sich in erster Linie auf die Audio- und/oder Videoaufnahme eines Musikstücks zu Übungszwecken. „Sich aufzunehmen“ bedeutet im Folgenden also ein schnelles, unkompliziertes Mitschneiden zum sofortigen oder späteren Beurteilen des eigenen Spiels, insbesondere zur Verfeinerung des musikalischen Vortrags als Folge geschärfter Selbstwahrnehmung.

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Eine kurze Erklärung vorweg: Was hier in diesem Artikel von mir zusammengestellt wurde, gilt für alle Musiker, alle Instrumente, sowie alle Niveaustufen gleichermaßen. Vom 6-jährigen Anfänger bis zum 60-jährigen Profi-Musiker empfehle ich diese Dinge auszuprobieren und stets im Übungsalltag einzubinden.

Wie oft nehmt ihr euch selbst beim Üben auf? Regelmäßig, ab und zu oder etwa nie? Unabhängig von der Häufigkeit wissen wir, dass diese Methode unser Spiel durchleuchtet und etwaige Schwächen bis ins Detail aufdeckt. All das, was uns beim Spielen nicht bewusst war, enthüllt die Aufnahme im Nachhinein, deshalb haben wir viel Respekt, möglicherweise sogar ein bisschen Angst davor. Unter Umständen sogar soviel, dass wir uns lieber damit zufrieden geben, auf herkömmliche Art zu üben und deshalb auf diese wertvolle und bereichernde Methode oft verzichten.

Zuerst einmal warum ist das überhaupt so? Warum merken wir nicht schon beim Spielen Unreinheiten im Ton, Phrasierungs- und Artikulationsschwächen oder Mängel im dynamischen Ausdruck?

Zum einen hören wir unser eigenes Musizieren nicht so objektiv, wie wir glauben, zum anderen lügen unsere Ohren, was sich unter Druck und Nervosität natürlich noch verstärkt, beispielsweise während einer Auftrittssituation.

Wer kennt es nicht, man nimmt sich auf, hört danach rein und häufig macht sich sofort Ernüchterung breit. Wir glaubten ausreichend Unterschiede in der Dynamik gemacht zu haben, wir glaubten eine klar artikulierte Melodie gespielt zu haben, wir dachten ein gleichmäßiges Tempo gespielt zu haben, etc…

Wir laufen Gefahr, eine permanent falsche Einschätzung davon zu bekommen, wie wir eigentlich klingen, wenn wir Aufnahmen, insbesondere mitgeschnittenen Durchläufen aus dem Weg gehen.

Wer hier nun enttäuscht aufgibt, erkennt nicht die Gewichtigkeit, die in diesen Erkenntnissen liegt. Sie sind ein Startpunkt für wirklich effizientes, zielgerichtetes Üben und Verbessern, denn nur die Aufnahme serviert einem alle versteckten Schwachstellen auf einem Silbertablett und plötzlich wissen wir, wo wir beim Üben ansetzen können.

Es ist so, als ob ein höchst aufmerksamer Zuhörer uns auf diese Stellen aufmerksam macht, mit dem Vorteil, dass wir oft so selbstkritisch und perfektionistisch sind, dass es keinen aufmerksameren Zuhörer als uns selbst geben kann.

Diese fast schon schmeichelhaft anmutende Erkenntnis sollte uns auch die letzte Scheu vor der persönlichen Aufnahme nehmen, die Konfrontation bringt uns also weiter, sowohl musikalisch als auch persönlich.

Es sind einer Aufnahme zu Übungszwecken glücklicherweise nicht immer nur Kritikpunkte zu entnehmen, sehr schnell finden wir auch gut Gelungenes, das wir im Spielmoment vielleicht nicht so wahrgenommen haben. Dies zeigt uns wiederum die Macht in der Rolle des Außenstehenden, des Zuhörers, denn die Wahrnehmung im Moment des Spielens spielt uns oft Streiche: Abschnitte, wo wir dachten es wird nicht besonders gut klingen, stellen sich als ganz passabel oder sogar gut heraus, genauso wie das eben auch umgekehrt der Fall sein kann.

Dieser Zustand, dass alles halb so wild ist, stellt sich im Normalfall dann ein, wenn wir einen zeitlichen und emotionalen Abstand zu einer Aufnahme nehmen. Vor allem für Mitschnitte von Auftritten empfiehlt es sich, das eben Aufgenommene beiseite zu legen und eine Woche später reinzuhören, dies wirkt Wunder und hebt unter Umständen sogar das Selbstwertgefühl.

Bei Schüler/innen, die regelmäßigen Instrumentalunterricht genießen, könnte der Einwand kommen, dass der Lehrer, unser kompetenter Ansprechpartner onehin ständig Anregungen und Anweisungen gibt. Immerhin schöpft dieser aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz und stellt für uns somit eine Art „Aufnahmegerät“ dar, das uns konstruktives Feedback gibt.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Musik auch eine sehr persönliche Beschäftigung mit uns selbst ist. Überhaupt wissen zu wollen, wie man klingt und vor allem eine Vorstellung zu entwickeln wie man klingen will ist ist ein wichtiger Schritt in der musikalischen und persönlichen Entwicklung. Regelmäßiges Aufnehmen stellt ein mächtiges Werkzeug dar, um diesem Schritt näher zu kommen.

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Wie setzt man die Aufnahme sinnvoll beim Üben am Instrument ein?

Grob unterscheide ich beim Üben mit dem Aufnahmegerät zwei Phasen: Die erste – nennen wir sie einfach „Analysephase“ – ist vielen ohnehin bekannt, es ist das übliche Bewerten und das anschließende Beheben einzelner Stellen, die in der Aufnahme aufgefallen sind. Die zweite – nennen wir sie hier schlicht und einfach „Musik schaffen“ – ist wie ich vermute weniger verbreitet, aber umso wichtiger um ein Stück zu einem befriedigenden Ende zu bringen, sei es für einen Auftritt oder sogar für eine „echte“ Aufnahme, mehr dazu später.

Nehmen wir an, man hätte ein Stück für einen Auftritt einzustudieren, welches sich bereits im fortgeschrittenen Übestadium befindet, sprich: der Großteil der technischen Hürden ist weitgehend in automatisierten Bewegungsmustern gespeichert, für musikalische Aspekte wie Klang, Dynamik, Phrasierung, Agogik sind bereits bestimmte Vorstellungen vorhanden.

Ein Durchlauf des Stücks klappt schon ganz passabel, aber es gibt noch genug Optimierungspotenzial und es verbleiben Unsicherheiten, die sich vor allem bei Nervosität offenbaren werden, dessen ist man sich bewusst.

Am Beginn einer Übeeinheit – auch wenn man müde und unkonzentriert ist – schaltet man die Aufnahme gleich für ein oder zwei Durchläufe ein. Dieser Mitschnitt wird höchstwahrscheinlich einige (versteckte) Schwach- und Problemstellen beim anschließenden Durchhören offenlegen.

Es sind meist heikle Übergänge, technisch schwierigere Läufe oder knifflige Rhythmen, an denen Unsicherheiten anzutreffen sind. Auch rhythmische oder klangliche Ungenauigkeiten sowie ein unzureichendes Ausschöpfen des musikalischen Spektrums bringt die Aufnahme zutage. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns noch in der ersten Entwicklungsphase beim Einsatz des Aufnahmegeräts.

Selbst wenn sich hier das Vergnügen noch in Grenzen hält, Schwachstellen in den heimischen vier Wänden zu entdecken ist mit Sicherheit angenehmer als später auf der Bühne. Im Schutze des Übungszimmers können wir durch diese Aufnahme unser Spiel bewerten und verbessern, es zerlegen, unter die Lupe nehmen und auf Herz und Nieren prüfen.

Wenn aber der Schritt auf die Bühne kommt, findet dieses „Analyseverfahren“ keinen Platz mehr. Hier müssen unsere einstudierten Bewegungsabläufe weitgehend automatisch funktionieren, denken wir nämlich zu genau über die Ausführung dieser Bewegungen nach, wird der Fluss sehr wahrscheinlich gestört und nimmt uns auch die Freiheit, auf die musikalischen Aspekte des Vortrags einzugehen.

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Im Verlauf des Einstudierens kommt irgendwann die Zeit, wo wir aus dem Analysemodus zum eigentlichen Musikmachen übergehen und auf unsere Fähigkeiten vertrauen sollten…

Hier sind wir in der zweiten Entwicklungsphase angelangt: Ja, man kann sich in Details verzetteln, hier und da noch etwas ausbügeln oder verfeinern, vom Hundersten ins Tausendste gehen, aber schlussendlich sollten wir uns einfach gehen lassen und mit einer klaren Vorstellung des eigenen Klangs im Musikmachen versinken.

Viele Musiker haben einen Hang zum Verbleiben im ewigen Optimieren und Perfektionieren und vergessen dabei gerne, dass sie schon vor einem Auftritt den Schalter auf das Musikschaffen umlegen sollten.

Das Umlegen dieses Schalters bereitet uns häufig Probleme, deshalb sollten wir diesen Wechsel unbedingt vor dem eigentlichen Auftritt üben. Und wem kann man seine ersten Versuche besser offenlegen, als seinem wohlvertrauten Aufnahmegerät?

Hier gilt: mit Bedacht und Konzentration los spielen, Sorgen ablegen, sich dem musikalischen Flow hingeben, in der Musik versinken, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben, sich loslösen, musizieren, kurz: Spaß haben! (Vor allem Letzteres sollte man sich immer wieder vor Augen halten, daran erinnere ich meine Schüler auch regelmäßig vor einem Auftritt.)

Mit etwas Übung wird man sich bald daran gewöhnen, regelmäßig die Aufnahme zu starten, und es kann schließlich auch Spaß machen, einen stetigen Fortschritt aus den Aufnahmen herauszuhören. Ähnlich einem Koch, der kein Gericht hinausschicken sollte ohne es vorher gekostet und abgeschmeckt zu haben, sollten wir unser Spiel unter die Lupe nehmen, bevor wir den Schritt auf die Bühne wagen.

Lässt man sich dies nochmals durch den Kopf gehen, so ist es fast leichtfertig, dem Publikum etwas zu servieren, das man vorher nie gekostet hat, sprich: nie selbst als Außenstehender gehört hat. Mit der Aufnahme üben ist eine Art Qualitätssicherung für Musiker.

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Nachtrag: Ein kurzes Wort zur „Technik“

Ob Audio- oder Videoaufnahme, wer diese Hilfsmittel heutzutage nutzen will, dem liegt die technologische Welt praktisch zu Füßen. Musste man vor 30/40 Jahren noch Unmengen an unbezahlbaren Equipment heranschleppen (lassen), um eine halbwegs gute Aufnahme hinzukriegen, so reicht heute (2015) in den meisten Fällen ein Griff neben das Instrument zum Smartphone.

Das Starten der Aufnahme-App mit einer Berühung des Bildschirms führt in wenigen Sekunden zur Aufnahmebereitschaft für die heimische Übesitzung und die Qualität ist mittlerweile überraschend gut, reicht allemal zum Analysieren des eigenen Spiels.

Für Tech-Freaks gibt es natürlich auch hochwertigere Geräte, sowohl im Video- als auch Audiobereich, doch schnelle unkomplizierte Handhabung und vor allem die Tatsache, dass wir unsere Smartphones immer dabei haben, lässt sich vom praktischen Standpunkt aus einfach schwer übertrumpfen.

Also weg von Facebook, Youtube, etc, Smartphone auf Flightmode und Aufnahme los!